Die Vereinigung deutscher Wissenschaftler hat dieses Jahr einen Whistlerblower-Preis verliehen. Whistleblower, das sind Menschen, die die Öffentlichkeit auf geheime und falsche Machenschaften von diversesten Organisationen aufmerksam machen. Am bekanntesten in Deutschland ist sicherlich Edward Snowden, der die massenhafte Überwachung der NSA an Zivilpersonen offenlegte und nun im Exil lebt, da ihm in seiner amerikanischen Heimat ein Verfahren wegen Hochverrats droht. Ähnlich bekannt ist auch Chelsea Manning, die den Folterskandal in Kriegsgefangenenlagern der USA sowie der Ermordung von Zivilisten im Irak aufdeckte. Sie ist mittlerweile aufgrund von Spionage zu 35 Jahren Haft verurteilt.
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) hat nun beschlossen, einen Preis, den zuvor auch Edward Snowden und Chelsea Manning bekamen, einem Herrn namens Gilles-Eric Séralini zu geben. Séralini hatt 2014 durch eine umstrittene Studie an Ratten zu Glyphosat auf sich aufmerksam gemacht, welche wieder zurückgezogen wurde. Die VDW schreibt in seiner Pressemeldung dazu: „Das führte zur Zurückziehung der Veröffentlichung durch den Herausgeber der genannten Zeitschrift wegen „Unschlüssigkeit“ („inconclusiveness“) und damit zur Nichtzitierfähigkeit der darin enthaltenen Daten, was klar gegen internationale Regeln der Publikationsethik verstieß, wie sie das „Committee on Publication Ethics (COPE)“ festgelegt hat. Denn das Zurückziehen von Publikationen und der darin enthaltenen Daten ist danach nur bei schweren Verstößen wie nachgewiesener Fälschung oder Manipulation, ‘ehrlichem’ Irrtum (honest error) oder bei Plagiat gerechtfertigt.“ Hier wird jedoch etwas ausgelassen. Die COPE-Guidelines zur Zurückziehung von Artikeln gilt für „unreliable data“, also „nicht vertrauenswürdige Daten“ aufgrund von Fälschung, Manipulation und Irrtum. Der Editor in Chief des Journals bezeichnet die Séralini-Studie als unschlüssig wegen der geringen Anzahl der Versuchstiere und der hohen spontanen Krebsrate der verwendeten Rattenart. Das könnte man als unschlüssig wegen ehrlichem Irrtum bezeichnen.
Die Studie wurde danach jedoch bei Environmental Sciences Europe veröffentlich und die VDW „konnte damit auch für die kürzlich veröffentlichte Neubewertung von Glyphosat als ‘wahrscheinlich krebserregend’ durch die „International Agency for Research on Cancer (IARC)“ der Weltgesundheitsorganisation WHO herangezogen werden.“ (Beide Zitate stammen aus der Pressemitteilung zum Preis)
Es gibt jetzt eine Reihe von Dingen, die man hier erklären müsste: Séralini selbst, die WHO und ihre Annahmen darüber, ab wann etwas krebserregend ist, Glyphosat, die VDW und zu guter Letzt Whistleblowing.
Séralini
Séralini ist Professor der Molekularbiologie in Frankreich. Dort hat er selbst eine Anti-Gentechnik-Organisation gegründet, die er präsidiert. Das macht ihn schon einmal voreingenommen. Generell sollten Studien ja ergebnisoffen durchgeführt werden und nicht die eigene Haltung unterstützen. Zusammen mit Greenpeace führt Séralini einen Kampf gegen den Agrar-Konzern Monsanto, der bekanntermaßen gentechnisch veränderte Maissorten vertreibt. Der Artikel zur Schädlichkeit von gentechnisch verändertem Mais wurde von Forschungsarbeiten der EFSA widerlegt. Gleichzeit verkaufen Monsanto und 90 weitere Unternehmen (das Patent ist in den meisten Ländern abgelaufen) ein Herbizid namens Glyphosat, besser bekannt in seiner Formulierung „Roundup“. Und darum geht es nun.
Die WHO – und das Wort „krebserregend“
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Wort krebserregend zu beschreiben. Generell würde man sagen, wenn man etwas ausgesetzt ist, das Krebs auslöst, dann ist es krebserregend. Das klingt logisch. Nun nehmen wir aber mal eine Zigarette. Zigarettenrauch ist krebserregend. Wenn ich aber in meinem Leben ein einziges Mal eine Zigarette rauche, dann bekomme ich wahrscheinlich deswegen keinen Lungenkrebs. Ich muss schon ein paar Päckchen die Woche rauchen – und selbst dann muss ich nicht unbedingt Krebs bekommen. Da geht man normalerweise mit Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Je höher die Dosis, desto höher auch das Risiko, negativen Effekten ausgesetzt zu sein. Das ist der WHO allerdings egal. Die WHO untersucht Stoffe nicht darauf, ab wann sie Krebs verursachen, sondern nur ob. Das ist eine reine „True/False“-Frage, die auch recht einfach zu beantworten ist. Die schwierige Frage ist: ab wann und wie hoch ist das Risiko. Das beurteilt die WHO überhaupt nicht. Auch ob man dem Stoff überhaupt ausgesetzt wird, wird dabei nicht beachtet. So etwas macht – zumindest in Deutschland – der BfR. Und das sieht bei Glyphosat keinen Handlungsbedarf. (Verständlicher bei Detritus)
Was aber ist eigentlich Glyphosat?
Glyphosat ist eines der am häufigsten angewendeten Pflanzenschutzmittel. Glyphosat hemmt die Synthese der Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin, wichtige Bausteine des Lebens. Nun ist es aber so, dass nur Pflanzen diese Aminosäuren selbst produzieren. Menschen müssen Phenylalanin und Tryptophan aufnehmen – und später aus ersterer dann Tyrosin herstellen. Somit greift es in einen Prozess ein, der beim Menschen gar nicht vorhanden ist, wirkt aber gegen alle Pflanzen. Daher wird Glyphosat im konventionellen Anbau vor dem Aussäen versprüht (manchmal aber auch kurz vor der Ernte). Oder aber man nimmt genveränderte Pflanzen, die gegen Glyphosat immun sind. Generell geben diverse Organisationen wenig Anlass zur Bedenklichkeit, während wiederum andere es verteufeln. Genaueres kann man im Wikipedia-Artikel nachlesen. Das Séralini-Paper zu Glyphosat hingegen hat Detritus hier auf Scilogs schon wunderbar zerpflückt.
Die VDW
Kommen wir nun zu der Organisation der VDW. Die VDW wurde 1959 von namhaften Physikern wie Carl Friedrich von Weizsäcker und die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max von Laue gegründet, die sich vor allem gegen Atomwaffen stark machen wollten und für Abrüstung eben dieser eintraten. Vorsitzende der VDW – und Kontaktperson für den Whistlerblowerpreis ist Ulrike Wunderle, ihres Zeichens Geschichtswissenschaftlerin. Vorsitzender der Jury für diesen Whistleblowerpreis ist Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht für Kommunalrecht. Des Weiteren wird der Vositzende des Kooperationspartners IALANA aufgeführt, Reiner Braun, Journalist und Aktivist bei der „Kooperation für den Frieden“. Letztere kooperierten im Winter 2014/2015 mit den sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“, einer fragwürdigen Vereinigung (allerdings wurde nach Querelen von dieser Verbindung Abstand genommen).*
Diese drei Leute haben vor allem eines nicht: Naturwissenschaftliche Bildung. Sie haben nicht mal medizinische Bildung. Daher haben sie die Ereignisse um Séralini schlicht fehlgedeutet.
Zunächst einmal hat Séralini – im Gegensatz zu wirklichen Whistleblowern – kein fehlerhaftes Verhalten einer Organisation aufgedeckt. Er hat schlichtweg Studien publiziert. Auch dass seine Ergebnisse depubliziert wurden ist kein Vertuschen. Schließlich hätte Séralini die Ergebnisse ja auch ins Internet stellen können. Kann man es als Repressalie werten? Wurde Séralini als Verräter beschimpft? Nein, seine Studie wurde kritisch zerrissen und seine Unabhängigkeit angezweifelt. Das diskreditiert ihn und ist rundum nicht sonderlich angenehm, ist aber noch lange keine Repression. Es ist vielmehr so, dass man als Wissenschaftler mit seinen Ideen vor anderen Bestand haben und schließlich auch Beweise liefern muss. Letztendlich waren es auch keine geheimen Informationen die er an die Öffentlichkeit brachte, schließlich steht Glyphosat ja bereits seit Jahren immer wieder in der Kritik. Es gibt auch keinen Grund zur Annahme, das Wissenschaftler die Forschung zu Glyphosat boykottieren wollten – oder konnten.
Wir können aus dieser Preisverleihung nur lernen. Zum einen benötigen wir dringend unabhängige toxikologische Forschung welche Substanzen auf Toxizität prüfen und alle Studien offen legen müssen. Dann muss man bei Studien das Peer Review Verfahren transparent machen. Wie oft wurde etwas geändert und was wurde weshalb beanstandet? Vielleicht sollte man zu jeder Studie auch einen Text in einfacherer Sprache verfassen, um die Bedeutung der Studie auch Laien verständlich zu machen. Schließlich sollten die, mit den besten Daten gewinnen und nicht die, die am lautesten die Medientrommel rühren.
*Der Zufall wollte es, mir diesen Link in den Weg zu legen. Falls man sich weiter über Reiner Braun informieren will: http://restgedanken.de/?p=230
Source: 1ife5cience