
Kann den Wirbel um Würstchen nicht verstehen. Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper plant weiter Würstchen zu verkaufen, hat aber jetzt fleischlose Alternativen im Angebot. (c) Britta Mai
Die WHO hat wieder etwas als krebserregend eingestuft. Bislang hat das nie groß wen interessiert. Es steht ja auch auf Tabakpackungen groß drauf, dass Rauchen zu Krebs führen kann. Das stört aber keinen großen Geist. Anders ist es, wenn es um die Wurst geht. Da versteht der Deutsche keinen Spaß und selbst ein für Verspätungen bekanntes Unternehmen reagiert sofort.*
Der Verzehr von rotem Fleisch und verarbeitetem Fleisch erhöhen also das Darmkrebsrisiko. Und schon wird das diskutiert. Dabei ist die Annahme, dass rotes Fleisch Krebs erregen könnte nicht neu.
Allerdings spielen bei der Krebsentstehung generell eher ein anderer Risikofaktor eine Rolle: Das Alter. Krebs ist ein Spiel von Wahrscheinlichkeiten. Die Tatsache, dass wir nicht mehr so einfach von Infektionen dahingerafft werden hat dafür gesorgt, dass wir immer älter werden. Somit werden wir älter und bekommen öfter Krebs. Ich möchte hier nicht noch einmal die gesamte Krebsentstehung erklären, aber kurz gesagt ist es so, dass mit jeder Zellteilung in einer Zelle Mutationen entstehen können. Außerdem sammeln sich über unser Leben hinweg Schäden in unseren Zellen an. Die allermeisten dieser Schäden werden flink repariert oder die Zelle wird unschädlich gemacht. Passiert das aber nicht, werden die Schäden eventuell zu Mutationen. Davon benötigt eine Zelle dann auch wieder mehrere um zu einer Krebszelle zu werden.
Zahlen und Fakten
Das Ganze ist also relativ komplex. Einzelne Gegebenheiten, die direkt Krebs auslösen gibt es eigentlich bis auf wenige Ausnahmen nicht. Es erhöht sich immer nur die Wahrscheinlichkeit, dass man diese oder jene Krebsart bekommen kann. Wie bereits in meinem Beitrag zu Glyphosat erwähnt beurteilt die WHO aber keine Schwellenwerte sondern nur, ob eine Substanz Krebs erregen kann. Dabei ist es ganz egal, wie viele Krebsfälle sie ausgelöst hat. Das ist nicht unnütz, denn wenn man weiß, dass eine Substanz Krebs erregend oder potentiell Krebs erregend ist kann man Maßnahmen ergreifen um Menschen die der Substanz ausgesetzt sind, zu schützen. Diese Werte werden aber von den einzelnen Staaten festgelegt, nicht von der WHO. Das sorgt dafür, dass manche Länder sehr lasche bis gar keine Arbeitsschutzgesetze für toxische Substanzen (wie zum Beispiel Asbest) haben. Jetzt werden aber verarbeitete Fleischprodukte auf eine Stufe mit Asbest, Rauchen und radioaktiver Strahlung gestellt. Der häufige Verzehr von verarbeitetem Fleisch erhöht das Darmkrebsrisiko aber nur um 18%. Das ist Prozentrechnung und keine Addition. Demnach erhöht sich das Lebenszeit-Risiko von etwa 7% für Männer und 5,7% für Frauen auf 7,4% respektive 6%.
Ganz anders ist das bei dem Risikofaktor Rauchen. Hier multipliziert sich das Risiko um das 20-fache bei Männern und das Neunfache bei Frauen. Jeder zehnte Raucher erkrankt irgendwann an Lungenkrebs. Auch bei der Exposition zu Asbest kann man eine direkte Verbindung sehen. Das Klassifizierungssystem der WHO, welches Fischblog hier erklärt, ist also vor allem eines: suggestiv. Wenn schon Warnungen vor Herz-Kreislauferkankungen die Menschen nicht einschüchtert, dann vielleicht das große K?
Wieso kann Fleisch Krebs erregen?
Wieso sollte jetzt gerade verarbeitetes Fleisch Krebs erregen? Wie ich oben bereits schrieb ist Krebs eine Lotterie. Und wie bei jeder Lotterie kann man seine Chance zu gewinnen erhöhen, je mehr Tickets man kauft. Je mehr Schäden ich meinen Zellen zufüge, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch an Krebs erkranke.
Beim Grillen und Braten entstehen in Fleisch unter anderem Verbrennungsprodukte, die man Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) nennt. PAK können mit der DNA in der Zelle eine Verbindung eingehen und so zu Schäden und manchmal auch zu Mutationen führen. Eine weitere Substanz sind Nitrosamine, die beim Braten von gepökeltem (verarbeitetem) Fleisch entstehen. Sie gehen ebenso Verbindungen mit der DNA ein die sie schädigen. Man vermutet mittlerweile auch, dass besonders in rotem Fleisch Viren zurückbleiben können, die wie bei HPV auch Krebs auslösen könnten. Eine weitere Hypothese ist die längere Verdauungszeit bei hohem Fleischkonsum wegen der fehlenden Ballaststoffe und dem hohen Proteingehalt im Fleisch (und wegen der Begleiternährung). Ein längerer Verbleib von Nahrung im Darm sorgt eventuell auch dafür, dass schädliche Substanzen darin mehr Chancen haben, auf die Zellen im Darm einzuwirken.
Was ich jedoch spannender finde ist die Gesamtlage. Menschen die viel verarbeitetes Fleisch essen könnten eventuell auch einen nicht ganz so optimalen Lebensstil haben. Denken wir an den stereotypen übergewichtigen Amerikaner (m/w), die extrem wenig Bewegung haben aber viel verarbeitetes Fleisch (Burger), viel Zucker (Cola) und wenig Ballaststoffe zu sich nehmen. Bewegung senkt das Krebsrisiko deutlich, wahrscheinlich durch die Anregung des Stoffwechsels und fördert auch die Verdauung, was wiederum den Verbleib der Nahrung im Verdauungstrakt senkt.
Es ist fast unmöglich solche Faktoren komplett aus Ernährungsstudien herauszurechnen. Andererseits wäre es natürlich auch wünschenswert, wenn wir sowohl den Genuss von verarbeitetem Fleisch herunterschrauben als auch Bewegung erhöhen. Das alles bietet aber keinen 100% Schutz. Man kann trotzdem an Darmkrebs erkranken, auch wenn man sich an die derzeitigen Ernährungsvorgaben hält. Die Macht des Zufalls ist größer.
Mal was ganz anderes
Ich glaube, man muss bei der WHO deutlich globaler denken. Unser Fleisch der meisten wird in von Großbauern „hergestellt“ die für Großkonzerne arbeiten. Und der meiste Konsum von verarbeitetem Fleisch wird in fertigen Lebensmitteln vertrieben, die wiederum von internationalen Großkonzernen hergestellt werden. Die Fleischproduktion nimmt derweil auch viel fruchtbares Land ein – während in anderen Teilen der Welt gehungert wird. Das Vieh selbst, die Viehtransporte, Verarbeitungstransporte und schließlich Warentransporte gehen außerdem aufs Weltklima. Die Klassifizierung der WHO könnte also auch ein Versuch sein, Großkonzernen einen Seitenhieb zu verpassen. Das läge genau in ihrer Agenda, denn nachweislich setzte sie sich immer wieder für die ärmeren Länder ein. Die WHO betrachtet das Erstarken von Großkonzernen offensichtlich mit Sorge. Die Frage ist aber, ob sich kapitalistische Unternehmen freiwillig zähmen lassen. Wenn die WHO die Verbraucher ängstigt statt die Regierungen ihrer Mitgliedsländer unter Druck zu setzen, erscheint das für mich zunächst als Machtlosigkeit.
Und was machen wir jetzt gegen Darmkrebs?
Weniger Fleisch, der Umwelt, der Weltgemeinhaft und der Gesundheit zu liebe. Weniger, aber nicht gar keins, wenn man nicht aus ethischen Gründen verzichtet. Geht zur Darmkrebsvorsorge, die wird ab dem 50. Lebensjahr von der Kasse gezahlt und ist zwar wenig uncharmant, dafür kann man aber lustige Sprüche dabei reißen. Begutachtet außerdem ab und an euren Stuhl (aus sicherer Entfernung). Plötzliche Veränderungen der Konsistenz, des Geruchs und der Form sowie Blut im Stuhl sollten mit dem Arzt abgeklärt werden. Früh erkannt ist Darmkrebs gut behandelbar.
*Natürlich ist das Satire. Aber es ist lustig.
Source: 1ife5cience