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„Ich mach dann mal schnell meinen Doktor!“

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Axel Meyer schreibt, wir Doktoranden in Deutschland hätten es gut. Längere Verträge? Papperlapapp! Wir haben ja sowieso nichts zu tun. Axel Meyer weiß es, denn er hat in Berkeley, Harvard und Stony Brook studiert. Aber – sehr offensichtlich – nicht in Deutschland.

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Doktor werden ist doch ein “Piece of Cake” – oder? In Deutschland zumindest, findet Axel Meyer.

Soviel zu meiner polemischen Zusammenfassung. Jetzt komme ich. Ich habe übrigens in Heidelberg studiert und promoviere dort gerade. Ich habe außerdem in Amerika gelebt, zum Teil in UK studiert und in Harvard (MGH) gearbeitet.

Vorweg: Ich bin 28 und war die zweitjüngste Masterabsolventin meines Jahrgangs. Die einzig jüngere war eine Freundin von mir aus Thüringen, wo seit jeher G8 praktiziert wird. Ich verlor durch meinen Aufenthalt in den USA während meines Masterstudium etwa vier Monate und werde bald nur knapp über 4 Jahren Promoviert haben. Von Beginn an bis zum Doktorhut. Man merke sich: Zwischen Beginn der Schreibphase über die Abgabe hinweg und der darauffolgenden Prüfung vergehen schnell sechs Monate, mitunter mehr.

 

Der Vergleich Amerika und Deutschland

Herr Meyer sagt, in Amerika wird 5-6 Jahre promoviert. In Deutschland sind es nur 3-4. Das stimmt. Er erwähnt, dass man in den USA bereits mit einem Bachelor promovieren kann und dass es dann eben “etwas länger” dauert den Doktoranden einzuarbeiten.  Das dauert in der Regel eineinhalb bis zwei Jahre – genauso lange wie ein Master in Deutschland. Die phD-Kurse, auch in Berkeley, beginnen oft noch mit Grundlagenkursen. Oft genug ist darin auch ein Master Titel integriert.

Deutschland und Amerika hier zu vergleichen ist schwierig und beide Systeme über einen Kamm zu scheren fatal. Die Ausbildung in Deutschland dauert sehr lange. Mit einem Doktortitel beworben wird sich auch bei den schnellsten derzeit erst mit Ende 20, meistens eher Anfang 30. Das Bildungssystem macht’s möglich. Vor G8 kamen Schüler mit 19, manchmal sogar schon 20 aus dem Abitur. Dann wurde 5-6 Jahre ein Diplom gemacht. Dann ist man, sagen wir mal, 25. Und dann noch Doktorieren für 3-4 Jahre?

In den USA – und auch in UK – ist das anders. Hier sind viele Schüler erst 17-18 wenn sie ihre Hochschulreife bekommen. Sie machen dann in 4 Jahren College teilweise das, was in Deutschland bereits in der Oberstufe gelehrt wird (zum Vergleich: ich war in den USA jünger als die meisten 10.-Klässerrinnen aber belegte die Collegevorbereitungskursen die an der Schule angeboten wurden). Die meisten Collegeabsolventen reicht ihr Collegeabschluss zu einem guten Verdienst (das ist in Deutschland aber _eigentlich_ „nur“ ein Vordiplom). Nur wer an einer wissenschaftlichen Karriere interessiert ist macht weiter mit einem Master oder gar einem phD. Genau deshalb sind die Positionen dort auch darauf ausgelegt, weiter in der Wissenschaft zu bleiben. Wenn man schnell ist hat man so einen phD vielleicht schon mit 26.

Was man noch dazu sagen könnte ist, dass in Deutschland der Doktortitel benotet wird. Da gibt es Summa cum Laude, die beste Note, die nur vergeben wird wenn man wirklich außergewöhnlich gute Arbeit geleistet und beispielsweise einen wissenschaftlichen Artikel als Erstautor veröffentlich hat. Dann gibt es Magna cum Laude, für eine sehr gute Arbeit und cum Laude für eine gute Arbeit. Und Rite für „bestanden“. In Amerika ist das alles ziemlich egal. Ein phD ist ein phD ist ein phD.

 

Wissenschaftliche Karrieren

All diese Informationen scheinen Herrn Meyer zu fehlen. Das ist schade, denn das Deutsche Doktorandensystem gehört dringend reformiert:

  1. Die meisten deutschen Doktoranden streben keine wissenschaftlichen Karrieren an weil es nämlich kaum welche gibt.
  2. Die meisten deutschen Doktoranden machen einen Doktor um sich beruflich weiter zu qualifizieren weil viele Firmen gerne einen promovierten Laborleiter/Projektmanager/Kundenberater haben.

 

Zu 1. Wissenschaftliche Karrieren sind schwierig. Man hangelt sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Dafür hat man nach seinem Doktor 12 Jahre Zeit, abzüglich der Promotionsdauer, um irgendwie an eine Festanstellung zu kommen. Und dann muss man immer noch Professor werden. Aber Forschungserfolg ist auch für brilliante Forscher nicht planbar. Wir forschen ja nicht, weil wir wissen was passieren wird. Wo man seine befristeten Stellen erhält ist immer wieder fraglich. Vielleicht muss man umziehen, vielleicht sucht man lange vergeblich nach einer neuen Beschäftigung. Jetzt rechnen wir mal: Der Doktor bekam mit 29 seinen Abschluss. Er hätte dann vielleicht 8 Jahre Zeit, eine Festanstellung zu finden. Nach Adam Riese wäre er dann mindestens 37. Aber vielleicht möchte der Doktor ja Kinder? Ich spreche hier von Frauen und Männern gleichzeitig. Die Frau müsste mindestens ein paar Monate aussetzen und einen Mann haben der da mitspielt. Der Mann müsste irgendwie eine Familie finanzieren und eine Frau finden die es unterstützt, dass die familiär-finanzielle Situation vielleicht 12 Jahre unsicher bleibt. Und selbst wenn man keine Familie will, keinen Partner will: Will man es riskieren, nach 12 Jahren harter Arbeit doch keine Entfristung und keine Professur zu bekommen? Kann man mit der ewigen Unsicherheit leben? Für einen Lohn, über den Kollegen in der Industrie nur müde lächeln?

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Verlieren Deutschlands klügste Köpfe den Kopf im Kampf um den Doktorhut?

In Amerika hat man begonnen, dieses Problem mit dem Tenure Track zu lösen, einem System, dass einem die Anstellung als Professor nach einer bestimmten Zeit garantiert. Das haben wir in Deutschland nicht.

Zu 2. Viele Deutsche Firmen in der Bio-Szene wollen auf den Doktor nicht verzichten. Es ist zum einen Prestige. Aber nicht ganz. Ich wählte drei typische Positionen für Berufseinsteiger nach dem Doktorgrad aus.

Ein Laborleiter sollte natürlich wissen wie ein Labor so funktioniert. Nur weil man die Uni nicht in die Luft gesprengt hat, heißt das nicht dass man ein Labor führen kann. Man muss sich Methoden selbst aneignen können, man muss Versuche planen können. Bachelor und Master sollten dies eigentlich vermitteln, doch blieb man meistens dem alten, diplomantischen Lehrplan treu. Und selbst wenn: In der Industrie ist das nicht durchgesickert.

Projektmanager für Vertrieb oder Forschung sollten sich damit auskennen, was ihre Mitarbeiter so tun. Sie sollten Arbeitsabläufe kennen und von allen Seiten betrachten können um Zeit und Geld planen zu können die benötigt wird. Das ist für Doktoranden deutlich einfacher, denn sie haben sich 3 oder 4 Jahre intensiv mit einer Technik auseinander gesetzt.

Und zu guter Letzt die Frau oder der Herr [InsertBioFirmhere], wie wir sie im Laborjargon nennen. Ja, die habe ich des Öfteren in meiner Forschungszeit angerufen. „Hallo, die Maschine geht nicht.“ Es ist gut, wenn man jemanden hat der sich auskennt und der dasselbe hinter sich hat. Der weiß wie Forschung funktioniert. Deswegen werden hier oft und gerne Berufseinsteiger gewählt.

 

Deswegen gibt es in Deutschland so viele Doktoranden. Weil man in Deutschland dieses Kürzel vorm Namen benötigt.

 

Wie es so ist ein Doktorand zu sein

Herr Meyer macht noch auf etwas aufmerksam. Und zwar, dass Doktoranden in Deutschland viel weniger Lehre leisten als in den USA. Das ist vielleicht sogar teilweise richtig, zumindest in den Life Sciences. Nur sollte man dann auch erwähnen, dass es in den USA andere Laborverhältnisse gibt als hier. Es gibt dort die Position des Senior Scientists, einem quasi-Dauer-Post Doc. Sie forschen und das schon seit Jahren und haben daher viel Erfahrung im Umgang mit Methoden, Geräten, in der Planung von Experimenten und von der Literatur. In Deutschland gehen Doktoranden nach drei Jahren und nehmen ihre Erkenntnisse mit. Manche machen aus Verlegenheit noch einen PostDoc, meistens um sich weiter zu qualifizieren. Außerdem (und hier weiß ich nicht ob es generell so ist) gab es Lab Manager, die sich um die ganze Bürokratie kümmerten. In jedem deutschen Labor in dem ich war haben wir uns selbst darum gekümmert wenn neue Geräte oder Praktikanten kamen. Dazu kommen auch oft Reinigung von Geräten, Abfertigung und Abholung von Bestellungen und Betreuung von Praktikanten, jüngeren Doktoranden und Bachelor-/Masterarbeiten. Und das ist kein Rumgejammer, das frisst mehr Zeit als man denkt.

 

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Als Doktorand kann man sich nicht zurücklehnen. Aber immerhin dreht sich der Stuhl.

Nun zur der Befristung: Sicherlich ist es gut, Förderungsverträge für die tatsächliche Promotionslänge zu veranschlagen. Und zwar von Anfang an. Momentan sind es nicht drei Jahre sondern oft nur ein oder zwei. Ich hatte großes Glück und mein Arbeitsgeber vergibt Dreijahresverträge. Das ist aber mehr die Ausnahme als die Regel. Eine Freundin von mir bekam nach nur zwei Jahren keine Förderung mehr und promoviert nun fleißig auf Hartz IV. Hartz IV? Genau, denn oft sind die Verträge eigentlich Stipendien, die keine Abgaben für Renten- Arbeitslosigkeits-, Sozial- oder Krankenversicherung vorsehen. So ist auch eine indische Freundin von mir nun auf das Doktorandeneinkommen ihres Freundes angewiesen, da sie nach ihrer Promotion überhaupt kein Geld mehr erhält. Und ich kenne noch weitere Schauergeschichten.

Eine längere Vertragslaufzeit würde auch den Professoren helfen, denn die sind es ja, die die Mittel einwerben. Das würde diverse Anträge einsparen.

 

Jetzt erfahre ich gerade, dass der werte Herr Meyer auch nicht unbedingt eine persilgewaschene Weste trägt und denke, ich sollte wohl zum Ende kommen. Ich fasse es mal zusammen:

Um Wissenschaftler zu fördern sind längere Verträge – also sind überhaupt drei Jahre schon sehr gut. Besser wären vier. Und am besten sind es auch wirkliche Verträge, wie es sich gehört. Und es sollte bessere Bedingungen geben, mit denen man aus seinem Doktor heraus in Deutschland eine Professur anstreben kann. Wie zum Beispiel den Tenure Track. Und entfristete Stellen von Wissenschaftlern im Labor, die die Techniken der Doktoranden bewahren. Das kostet Geld. Das könnte man sparen indem man weniger Doktorandenstellen anbietet und einen Anreiz für Bachelor- und Masterabsolventen schafft, direkt in die Industrie zu gehen. Eventuell indem man die Studiengänge praxisorientierter aufbaut.

Bis das bei uns so ist, sind Vergleiche mit dem US-amerikanischen System sinnfrei.

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Source: 1ife5cience


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